Bürgerinitative für eine verträgliche Retention im Paminaraum e.V.
Hier weichen die Vermutungen des VGH deutlich von der Beurteilung des EuGH ab.
Der VGH in der Urteilsbegründung (S. 73):
"Hieraus folgt nach Auffassung des Generalanwalts, dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung einer vorherigen Einstufung nach Maßgabe der Art. 5 und Art. 6 WRRL
dazu verpflichtet seien, im Rahmen eines konkreten Genehmigungsverfahrens in entsprechender Anwendung von Art. 5 Abc. 1 WRRL eine Ad-hoc-Überprüfung der Auswirkungen
menschlicher Tätigkeiten auf den Zustand dieses Wasserkörpers und eine wirtschaftliche Analyse der Wassernutzung durchzuführen und hierfür geeignete
Bewertungskriterien aufzustellen (vgl. GA Rantos, Schlussanträge C-301/22, Rn. 61).
Dieser Auslegung vermag der Senat auf Grundlage der Systematik der Richtlinie und der hierzu ergangenen Rechtsprechung nicht zu folgen. ..."
Anders der EuGH in Rn 57: Weder im Planfeststellungsantrag noch im Planfeststellungsbeschluss werden Ergebnisse solcher Prüfungen dargestellt oder thematisiert, die die Anforderungen
der Anhänge II + X erfüllen. Folglich erfüllt weder der Planfeststellungsantrag, noch der Planfeststellungsbeschluss die europarechtlichen Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie.
Die Ausführungen des VGH in der Urteilsbegründung (S. 66) : "Im Übrigen waren der Ist-Zustand und die Auswirkungen des Vorhabens auf den den Fermasee
jedenfalls Gegenstand der hilfsweise vorgenommenen „Limnologischen Untersuchung",..." sind nicht mit der Rn 57 des EuGH-Urteil in Einklang zu bringen.
Diese nachgeschobenen Limnologischen Untersuchungen erfüllen nicht einmal ansatzweise, die in Anhänge II + X festgelegten methodischen Anforderungen.
Der Planfeststellungsantrag war und ist so nicht genehmigungsfähig. Deshalb bleibt es z.B. auch bei unserem Antrag auf Aufhebung des rechtswidrigen
Planfeststellungsbeschlusses zum Polder Bellenkopf/Rappenwört.
Die Entscheidung des VGH war voreilig: Man hätte besser das Verfahren so lange ausgesetzt, bis das Urteil des EuGH vorgelegen hätte, zumal dieser Zeitraum sehr überschaubar war.
Die vorläufige Urteilsbegründung findet man hier
"Daher darf eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, wenn sie einen Antrag auf Genehmigung eines Vorhabens prüft, das einen See mit einer Oberfläche von weniger
als 0,5 km² beeinträchtigen könnte, diese Prüfung nicht auf die Auswirkungen des Vorhabens auf diesen See beschränken. Um zu bestimmen, ob dieses Vorhaben
eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen oder die Erreichung eines guten Zustands eines
Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potenzials und eines guten chemischen Zustands eines solchen Gewässers gefährden kann,
hat sie vielmehr die Wasserkörper, die mit diesem See verbunden sind, zu berücksichtigen."
Für diese Ad-Hoc-Untersuchung, die der EuGH nicht verneint, sind die Anhänge II + X der Wasserrahmenrichtlinie maßgebend.
Sie müssten aber den Anforderungen der Anhänge II + X entsprechen, da die Folgewirkungen auf eine größeres Gewässer schließlich auch nur auf Basis der Ergebnisse
der Anhänge II + X bestimmt werden müssten.
Das Thema Absperrdämme (XXVa und XXVI) wurde vom VGH komplett ignoriert. Unser Kritikpunkt, dass eine Störfallbetrachtung fehlt, wurde mit dem abwegigen Verweis auf das Szenario „Der Damm bricht bei Elchesheim/Illigen“ abgetan. Der Planträger hat dies, wie zu erwarten war, als das größte Risiko dargestellt, obwohl dieses Szenario abwegig ist.
Das Störfallrisiko ergibt sich aus den mit der Eintrittswahrscheinlichkeit gewichteten
Störfallfolgen. Am Oberrhein gab es in der Vergangenheit noch nie einen Bruch eines Rheindamms. Jüngste Hochwasserereignisse z.B. zur Weihnachtszeit 2023 in Niedersachsen zeigen, dass Erddämme mehr denn je ein erhöhtes Risiko darstellen.
Im Gegensatz zum Bruch eines Rheinseitendamms ist das Risiko des Bruchs eines belasteten Sperrdammes z.B. des Polders Bellenkopf/Rappenwört mit viel größerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Wir haben entsprechende Erläuterungen und Begründungen beim Gericht vorgelegt. Dies wurde, wie auch die ökologischen Flutungen, vom Tisch gewischt.
Interessierte finden hier
Es verwundet schon sehr, dass in Baden-Württemberg immer noch nicht erkannt wird, dass Hochwasser als Folge der Klimaveränderungen immer stärker durch lang anhaltende Starkregenphasen und
immer weniger durch Schneeschmelzen hervorgerufen wird.
Bei Starkregen wird die gesamte Oberfläche eines Dammkörpers vernässt. Bei Schneeschmelzen nur die wasserseitige Dammflanke. Dies hat gravierende, negative Auswirkungen auf die Standfestigkeit
eines Erddammes. Die Standfestigkeit einer Spundwand wird dadurch nur unwesentlich beeinträchtigt.
Hinzu kommt, dass hohe ökologische Flutungen zwangsläufig eine Vernässung der Schuztdämme
zur Folge haben. Vor diesem Hintergrund sollte schon einmal die Frage erlaubt sein, ob die Interessen der Schutz der betroffenen Bevölkerung überhaupt noch eine Rolle spielt.
Aktuell (18.5.2024) im Saarland und Rheinland-Pfalz Hochwasserereignisses, was durch zwei Tage anhaltenden Starkregen ausgelöste wurde. Mehr dazu: t-online
Und was lernt man in Baden-Württemberg daraus? Nichts. Bei uns macht man unbeirrt mit der steinzeitlichen Dammbauweise weiter.
Die BI macht natürlich weiter
Der EuGH hat das Verschlechterungsverbot bei Kleingewässern nicht verneint, sondern lediglich entschieden, dass deshalb eine Genehmigung nicht versagt werden kann. Er verlangt in Rn 69 ausdrücklich, dass die wasserrechtlichen Auswirkungen (ökologischer und chemischer Zustandsänderungen) des Vorhabens untersucht werden müssen. Zudem das die Auswirkungen nicht nur auf Seen mit einer Oberfläche von unter 0,5 km² beschränkt werden dürfen, sondern alle damit verbundenen Oberflächengewässer zu berücksichtigen sind. Wenn diese Ad-Hoc-Analyse nur eine Verschlechterung der Wasserqualität des Kleingewässers ergibt, kann die Genehmigung nicht versagt werden. Für eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung auf Basis der WRRL würde es aber auch in diesem Falle bei ökologischen Flutungen an den in der WRRL festgelegten Ausnahmetatbestände (Havarie, Dürre oder extremes Hochwasserereignis) fehlen.
Es wäre sinnvoll, wenn das Land Baden-Württemberg spätestens jetzt erkennen würde, dass es sich mit den ökologischen Flutungen auf einem Holzweg befindet.
Ein Revisionsverfahren wäre Geldverschwendung, da wir, damit nicht an die Kernthemen herankämen. Im Ergänzungsverfahren müssen die vom VGH erkannten Mängel (Trenndamm, Probestau,
Schnakenpopulation und Schadstoffbelastungen des Bodens), aber vor allem auch die, die sich aus der aktuellen EuGH-Rechtsprechung ergebenden, behandelt werden.
Wenn eine weitere Klage Sinn macht, dann eine Klage nach dem Ergänzungsverfahren. Auch danach ist wieder ein Revisionsverfahren möglich.
Perfluorierte Schadstoffe im Rhein sind seit Jahren ein Thema. Unser Vortrag in der Klagebegründung wertet der VGH wie folgt:
"Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. Mai 2022 erstmals das Fehlen von Untersuchungen hinsichtlich des Schadstoffs Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) im Fermasee rügt und
mit weiterem Schriftsatz vom 4. Januar 2023 Einwendungen im Hinblick auf die Einhaltung der in Nr. 1.3.4 Anhang V WRRL normierten Überwachungsfrequenzen erhebt,
sind diese Erklärungen nach Maßgabe des § 6 Satz 1 UmwRG verspätet und nicht nach Maßgabe des § 6 Satz 3 UmwRG zuzulassen. Insbesondere handelt es sich ausgehend
von dem fristgerecht eingegangenen Schriftsatz vom 2. Mai 2022 nicht um vertiefendes Vorbringen, ..." (Urteilsbegründung S. 79). So kann man ein Problem auch entsorgen.
Aus aktuellem Anlass wird diese Stoffgruppe am südlichen Oberrhein heftig diskutiert, wie man dem Artikel der Badischen Zeitung entnehmen kann.
PFAS
Wen wundert es, wenn betroffene Bürger zunehmend den Eindruck haben, dass sich weder die Behörden noch das Verwaltungsgericht das viel wichtigere Thema
Gewässerverunreinigung meiden, obschon wir alle wissen, dass Wasser unser wichtigstes Lebenmittel ist.
Als Ergebnis bleibt: Der Planfeststellungsbeschluss zum Polder Bellenkopf/Rappenwört verstößt gegen EU-Recht, ist rechtswidrig und muss damit von der zuständigen Behörde wieder aufzuheben werden! Unser Antrag auf Aufhebung liegt seit Monaten beim Landratsamt Karlsruhe vor.
Alle Bügerinitativen am Oberrhein verfolgen unverändert das Ziel, dass die künstlichen Flutungen mit Rheinwasser beendet werden. Den politischem Willen unterstellt, wäre dies auch kein Problem. Für einen Polderbetrieb ohne die sogennaten ökologischen Flutungen müsste nur die Betriebsweise geändert werden. Bauliche Maßnahmen wären nicht erforderilich.
Der VGH hält schon den „Hinweis auf die überragende Bedeutung des Schutzes von Leib und Leben, abstrakt den Vorrang zu geben vor den durch das Vorhaben beeinträchtigten Natur- und Artenschutzinteressen ...“ (S. 122 der Urteilsbegründung) für nicht berücksichtigungswürdig. Die Politik wird sich fragen lassen müssen, ob dies auch ihre Sicht ist. In den jüngsten Hochwassergebieten (Ahrtal, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland) dürfte sie damit auf wenig Verständnis stoßen.
Wir haben zum Polder Bellenkopf/Rappenwört alle vom Gesetzgeber vorgesehenen Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Polderplanung bis hin zur Klage beim Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg ausgeschöpft, aber keine substantiellen Änderungen erreicht. Die Entscheidung des VGH ist für uns nicht nachvollziehbar. Dort spielte offensichtlich die gesichtswahrende Aufrechterhaltung der Begründung des Urteils zum Polder Elzmündung die entscheidende Rolle.
Was wir brauchen, ist ein effizienter Hochwasserschutz und keine Naturschutzromantik von Auwäldern, die ohnehin als Folge des Klimawandels langfristig verschwinden werden, wie die Prognose der LUBW (s. unten) zeigt. Die von der LUBW prognostizieren Veränderungen beziehen sich auf einen Zeitraum von 50 Jahre.
Wir halten auch Erddämme nur in Ausnahmefällen für vertretbar, da sie einerseits mit einem hohen Landschaftsverbrauch verbunden sind und heute im Bereich von Bebauungen nicht mehr die nötige Sicherheit bieten.
Völlig unverständlich wird das Ganze, wenn man dem gegenüber stellt, dass ökologische Flutungen im Polder Bellenkopf/Rappenwört zu einer bedeutenden Reduktion des Retentionsvolumens führen können. Im Extremfalle um mehr als 50% (s. unten). Auch diese Berechnungen stammen von der LUBW.
Dies alles haben wir dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt, blieb aber ohne Wirkung.
Wir werden deshalb nunmehr verstärkt eine Lösung auf der landespolitischen Ebene suchen.
Wenn von "oben" nichts brauchbares kommt, muss man sich selbst helfen.